Knigge tut not!

„Über Geschmack soll man nicht streiten“, verlangte Voltaire schon vor langer Zeit und in unserer Gesellschaft ist das inzwischen auch kaum noch möglich. Besonders die privaten Fernsehsender gestalten immer öfter ihre Programme nach dem Motto: Je vulgärer das Ganze, desto besser die Quote! „Wir wissen doch nur zu gut“, schrieb einst Tolstoi, „wie oft abartiger Geschmack … als der Beste angesehen wird.“ Von der Mattscheibe strahlt es in alle Lebensbereiche: „Wade hadde dudde das?

Handschlag_web_r_by_alexander_klaus_pixeliodeSelbst unsere politische „Klasse“ lässt sich bei Direktübertragungen im Bundestag nicht lumpen. Joschka Fischer nannte den derzeitigen Bundestagpräsidenten Stücklen ein Arschloch. Ex-Postminister Wolfgang Bötsch (CSU) titulierte (laut ZDF) den grünen Abgeordneten Christian Ströbel ohne Scheu eine Drecksau.

Auch unsere Wirtschaftsposse posaunen kräftig mit. Laut „Spiegel“ würde der frühere Daimler Chrysler-Vorsitzender Jürgen Schrempp mit dem ehemals VW-Chef Ferdinand Piech „noch nicht einmal pinkeln gehen.“ Ist das die zukünftige Sprache des Landes der Dichter und Denker?

Trotz oder vielleicht sogar wegen vulgärer bis obszöner Quotenjagd einiger Privater und verbaler „Ausrutscher“ unserer Landesgrößen erleben guter Ton und Benimm momentan eine Renaissance. Tanzschulen und Etikettenlehrer verzeichnen einen ungewöhnlichen Zuwachs bei Jung und Alt. „Benimmregeln sind Ausdruck unserer Kultur – vielleicht gilt das Werk (Verhaltenskodex des Bürgertums) des Freiherrn von Knigge aus dem 18. Jahrhundert ja doch noch! Sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“ brachte ihm sprichwörtlich Berühmtheit. Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796) wendet sich liebevoll dem Familien- und Eheleben zu, bemüht würdevoll als Aufklärer den Menschen unabhängig von Rang, Stand und Titel, Anregungen zu geben, wie man sich am besten gegenüber Menschen verschiedener Charaktere und gesellschaftlicher Stellung verhalten kann. Dabei versteht er es, seinen Stoff durch humorvolle oder satirische Betrachtungen aufzulockern, so dass keine lange Weile beim Lesen entsteht und der Leser aufgefordert wird, über die Regeln des Anstands und der Höflichkeit zu reflektieren. Auch für mich ist Höflichkeit und Anstand immer noch eine Grundlage für ethisch und sozial richtiges Verhalten und betrachte Knigges Thesen als unbedingt zeitgemäß.

Rolf Burmester

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